
Die Corona-Krise fügt der Diskussion über Tempolimits und Geschwindigkeitskontrollen in Deutschland eine neue Facette hinzu. Auf der einen Seite sinken aktuell die Unfallzahlen aufgrund des geringeren Verkehrs. Jedoch bringen die leereren Straßen auch Schattenseiten hervor: Wir sprechen von Rasern. Offensichtlich nutzen manche Verkehrsteilnehmer den Freiraum, um viel schneller zu fahren als erlaubt. So berichtet die Polizei Hannover von einem traurigen Geschwindigkeits-Spitzenreiter, der auf der A7 bei erlaubtem Tempo 100 mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 225 km/h unterwegs war. Auch ist zu beobachten, dass Raser sich vermehrt illegale Rennen liefern und die vermeintlich neu gewonnene Freiheit sichtlich genießen.
Darauf wiederum reagiert die Politik: ab sofort gelten für Raser und andere Verkehrssünder teils deutlich erhöhte Bußgelder. Einen Monat Fahrverbot gibt es dann schon, wenn außerorts 26 km/h schneller gefahren wird als erlaubt.
Man sieht, dass die Debatten über Verkehrssicherheit, Tempolimits und angepasste Geschwindigkeit in Deutschland kontinuierlich weitergehen. Die Einführung einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen hat die Berichterstattung in den Medien in den vergangenen Wochen und Monaten in diesem Kontext dominiert. Neu ist, dass es nicht mehr ausschließlich um die Reduzierung der Unfallzahlen und damit um weniger Schwerverletzte und Tote geht. Auch das Thema Klimaschutz spiegelt sich plötzlich in diesem Feld wider. So gibt es erstmals belastbare Berechnungen, inwiefern eine reduzierte Höchstgeschwindigkeit auch den CO2-Ausstoß positiv beeinflussen kann.
Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ist ein sinnvoller Klimaschutzbeitrag.
Das Umweltbundesamt (UBA) ist der Ansicht, dass CO2-Emmissionen durch ein generelles Tempolimit auf Autobahnen substanziell verringert werden können. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h sind laut Berechnungen 6,6 Prozent Einsparungen bei CO2 möglich.
2,6 Millionen Tonnen Treibhausgas können bei einer Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h pro Jahr eingespart werden. Wird das Tempo auf maximal 130 km/h reduziert, werden die Emissionen immer noch um 1,9 Millionen Tonnen zurückgefahren. Dürfen die Fahrzeuge auf der Autobahn nur noch 100 km/h fahren, so ergäbe sich daraus eine jährliche Treibhausgasminderung in Höhe von 5,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten.
Auch wenn die Argumentation aus Klimagesichtspunkten heraus schlüssig ist: Über den Sinn eines generellen Tempolimits auf Autobahnen wird schon ewig gestritten. Jüngst scheiterte der Umweltausschuss des Bundesrats mit dem Vorschlag einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 130 km/h. Das gleiche Schicksal erfuhr dem Vorstoß der Grünen im Bundestag Ende 2019. Die CSU startete sogar eine Kampagne gegen das Tempolimit auf Autobahnen. Eines der Hauptargumente ist, dass der Umwelteffekt eines Tempolimits sehr gering sei und lediglich 0,6 Prozent der CO2-Emissionen im Verkehr eingespart werden könnten. Hier kommt das UBA mit seinen neuen Berechnungen, wie aufgezeigt wurde, zu einem ganz anderen Resultat.
Dabei ist Deutschland das einzige europäische Land, in dem auf Autobahnen kein generelles Tempolimit existiert. Wie die Infografik von Statista zeigt, gibt es in anderen europäischen Ländern eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 bzw. 130 km/h. Geringer ist die erlaubte Geschwindigkeit sogar noch in Großbritannien (112 km/h), Malta (80 km/h auf Schnellstraßen), Norwegen (90 km/h) und Zypern (110 km/h)
Bei der Diskussion um Tempolimits auf Autobahnen wird immer wieder geäußert, dass es sowieso immer weniger Strecken ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen gibt. Aber stimmt das überhaupt? Im Betrachtungszeitraum Januar 2019 existierte auf rund 57 Prozent der Autobahnkilometer in Deutschland kein Tempolimit. Ein nur vorübergehendes Tempolimit aufgrund von Bauarbeiten gab es auf rund 13 Prozent dieser Straßen. Also machten Streckenabschnitte mit einem Tempolimit gerade einmal 30 Prozent der Autobahnkilometer in Deutschland aus. Viele Argumente gegen ein generelles Tempolimit beruhen auf dem Gefühl, dass die eingeschränkten Streckenabschnitte bereits heute klar dominieren. Das ist nicht so.
Und gefühlig geht es auch im Bereich der Akzeptanz von Tempolimits weiter. Entgegen der landläufigen Auffassung, dass Fahren Freiheit bedeutet, die nicht eingeschränkt werden sollte, votieren laut Umfrage des ZDF Politbaromters 59 Prozent der Befragten für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Sechs Prozent waren für eine Geschwindigkeitsbeschränkung von weniger als 130 km/h. Lediglich einer von drei Befragten lehnte damit ein Tempolimit rigoros ab.
Trotz einer Mehrheit für eine Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen gibt es einige Aussagen dagegen, die immer wieder ins Feld geführt werden. Ein genauer Blick darauf verrät, ob und was an diesen dran ist.
„Ich lasse mir meine persönliche Freiheit nicht beschneiden!“ Das ist eine der häufigsten Aussagen von Personen, die sich gegen Tempolimits aussprechen. Grundsätzlich ist der Straßenverkehr jedoch einer der am stärksten geregelten Lebensbereiche. Jedes Detail ist vom Gesetzgeber festgelegt. So gibt es Verordnungen fürs Parken, für den Abstand beim Autofahren und für die Vorfahrt. Nur ein generelles Tempolimit auf Autobahnen existiert nicht. Deswegen klammern sich die Menschen scheinbar an diese kleine Freiheit, die im Grunde keine ist.
In Relation betrachtet ist diese Aussage korrekt. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) analysierte zwischen 2010 und 2014 die Auswirkungen eines Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen. Das Ergebnis lautet, dass 60 Prozent aller Autofahrer maximal 130 km/h fahren. Wiederum 15 Prozent pendeln sich bei 130 bis 140 km/h ein. Ein Viertel fährt schneller als Tempo 140. Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Will man die Durchschnittsgeschwindigkeit senken, wäre ein Tempolimit von 120 km/h sinnvoller, weil dann lediglich noch sieben Prozent der Verkehrsteilnehmer schneller als 140 km/h fahren würden.
Zu diesem Argument lässt sich sagen, dass die Beanspruchung bei hohen Geschwindigkeiten größer ist. Dies führt meist kurzfristig zu einer verbesserten Konzentration, um die Anforderungen angemessen bewältigen zu können. Problematisch ist, dass sich dieser hohe Grad an Konzentration nicht langfristig aufrechterhalten lässt. Verschärft wird dieser Zustand dadurch, dass die Fahrer bei eher monotonen Autobahnfahrten hauptsächlich mit Überwachungsaufgaben beschäftigt sind. Diese wiederum fallen Menschen grundsätzlich und vor allem bei längerer Dauer schwer. Die Wachsamkeit als Teil der Konzentration lässt dann nach. Dieses Problem verstärkt sich entsprechend bei hoher Geschwindigkeit.
Generell ist die Anzahl von tödlichen Unfällen über die Jahrzehnte gravierend gesunken. Und das bei steigendem Verkehrsaufkommen. 1970 starben 21.332 Menschen auf deutschen Straßen, 2019 laut Statistischem Bundesamt nur noch 3.059 Personen. Landstraßen sind immer noch der Spitzenreiter, wenn es um verunglückte Verkehrsteilnehmer geht. Hier starben 1.867 Menschen im Jahr 2018.
Dies ist nicht verwunderlich, denn viele Herausforderungen, die oft zu Unfällen führen, existieren auf Autobahnen nicht. Keine Radfahrer, keine Fußgänger, keinen Kreuzungsverkehr und kaum direkter Gegenverkehr. Allerdings enden Unfälle auf Autobahnen besonders oft tödlich. 409 Menschen starben hier im Jahr 2017. Fast jeder zweite von ihnen wegen zu hoher Geschwindigkeit. In der Faktensammlung „Wirkungen eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen“ des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) wurde darüber hinaus untersucht, wie viele der tödlichen Unfälle auf Abschnitte mit und ohne Tempolimit entfallen: Die Anzahl ist auf Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen 2011 und 2016 signifikant höher (2016: 283 versus 110). Vorher-Nachher-Versuche in Deutschland, Schweden, Belgien, USA und Kanada zeigen, dass auf allen Versuchsstrecken, wo das Tempo gesenkt wurde, auch die Zahl der Unfälle sank. Erhöhte sich das Tempo im Vergleich zu vorher, stieg die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden.
Verkehrssicherheit ist und bleibt das Hauptargument für angepasste Geschwindigkeit und ggf. die Einführung eines Tempolimits. Einigermaßen sicher ist, dass es – ob mit generellem Tempolimit oder ohne – einer modernen Verkehrsüberwachung bedarf, um als gefährlich definierte Streckenabschnitte abzusichern. Die Bürger sind dem Einsatz von Geschwindigkeitsmessungen auch entgegen dem Vorurteil gar nicht abgeneigt. Autofahrer halten die Kontrolle der Geschwindigkeit von Verkehrsteilnehmern für notwendig – laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019 teilten mehr als 80 Prozent der Befragten diese Auffassung.
Für Polizei und Ordnungsbehörden als Nutzer der Verkehrssicherheitstechnik ist Flexibilität ein wichtiges Argument. Sie profitieren von Lösungen, die sowohl auf Autobahnen als auch auf Landstraßen und innerorts gleich gut eingesetzt werden können. Seit einigen Jahren haben sich autonome Lösungen etabliert, die weitgehend automatisch funktionieren und so den Personalaufwand in den Behörden reduzieren. Sie lassen sich nicht nur auf gefährlichen Autobahnabschnitten mit Baustellen flexibel einsetzen, sondern sind auch für die Verkehrsüberwachung an Kindergärten und Schulen sowie an Gefahrenstellen außerorts geeignet. Je nach Kapazität können solche Systeme bis zu zehn Tage am Stück autonom operieren.